Ausgesprochen Alt. Der Antike Podcast

Folge 44: Sklaverei im antiken Griechenland mit Julian Schneider

Hätte die griechische Antike ohne Sklaverei funktioniert? Fest steht, dass Sklaverei ein fester Bestandteil der griechischen Antike war. Manche Sklavinnen und Sklaven arbeiteten im privaten Familienbereich, andere in der Landwirtschaft, in Fabriken, öffentlich für die Stadt oder in Heiligtümern. Obwohl wir Sklaven also in nahezu allen Bereichen des antiken Lebens finden, gibt es kaum verwertbare Selbstzeugnisse von ihnen. Wir kennen nur die Fremdperspektive durch die herrschende Schicht, also die Bürger der Poleis. Mit Julian Schneider gehen wir dem Lebensalltag von Sklavinnen und Sklaven und ihrem Stellenwert in der griechischen Gesellschaft auf den Grund.

Folge 44 von Ausgesprochen Alt.

Ansätze zur Erforschung der Sklaverei in der griechischen Antike

 „[A judgement of ancient Greek slavery] has become almost impossible because of two extraneous factors imposed by modern society. The first is the confusion of the historical study with moral judgments about slavery. We condemn slavery, and we are embarrassed for the Greeks, whom we admire so much; therefore we tend either to underestimate its role in their life, or we ignore it altogether, hoping that somehow it will quietly go away. The second factor is more political, and it goes back at least to I848, when the Communist Manifesto declared that ‚The history of all hitherto existing society is the history of class struggle […]‘“

Finley 1959, 160

Theoretische Beurteilung der Sklaverei in der Antike und Terminologieprobleme

  • Sklavenhaltergesellschaft (slaveholding society): Begriff unter starkem Einfluss von Historischem Materialismus entstanden (u. a. Karl Marx), vorbelastete Terminologie, da mit Theorie der Klassengesellschaft und des Kommunismus zusammenhängend.
    Hypothesen: mind. 30 % der Bevölkerung Sklaven, ‚Sklavenstand‘ Gesellschaft funktioniert ohne unfreie Arbeit nicht mehr (Abhängigkeit); u. a. die Position von M. Finley: „It seems to me that, seeing all this, if we could emancipate ourselves from the despotism of extraneous moral, intellectual, and political pressures, we would conclude, without hesitation, that slavery was a basic element in Greek civilization.“ (Finley 1959, 161)
  • Sklavengesellschaft (slave society): Ausweichterminus, von Sklavenhaltergesellschaft abgeleitet; missverständlich, weil damit auch Sklavenvereine gemeint sein könnten; zielt darauf ab, zu betonen, dass die Sklaverei ubiquitär war und alle Poleis und Regionen Griechenlands gleichermaßen betrafen
  • Gesellschaft mit Sklaven (society with slaves): Gesellschaft, in der Sklaverei selbstverständlich ist, aber weder ökonomisch noch numerische Dominanz

Wie gelangen Menschen in die Sklaverei?

  • Kriegsgefangenschaft und Piraterie (Menschenraub, Seeraub)
  • Geburt in die Sklaverei (hausgeborener Sklave, οἰκογενής)
  • Aussetzung von Kindern, auch Verkauf von Kindern in die Sklaverei bezeugt
  • Selbstverkauf in die Sklaverei

Über diese Quellen sprechen wir diese Folge:

Erklärung der Unterlegenheit von Sklaven durch Naturgesetz durch Aristoteles

„Wer von Natur nicht sich selbst, sondern als Mensch einem anderen gehört, ist von Natur Sklave. Ein Mensch gehört aber einem anderen, wenn er als Mensch Besitz eines anderen ist […].“

Aristot. pol. 1,4,1254a (Übersetzung E. Schütrumpf)

Vokabular zur Beschreibung von Sklaven

τὸ ἀνδράποδον („Menschenfüßler), ὁ δοῦλος („Sklave“), ὁ θεράπων („Diener“), οἰκέτης („Haussklave“), παῖς („Junge“ bzw. „Mädchen“) oder σῶμα („Körper“)

Kritische Stimmen gegenüber Sklaverei in der Antike

„Andere halten dagegen das Gebieten über Sklaven für naturwidrig, denn nur aufgrund von Gesetz sei der eine Sklave, der andere Freier, der Natur nach bestehe aber kein Unterschied zwischen ihnen; deswegen sei das Gebieten über Sklaven auch nicht gerecht, es gründe nämlich auf Gewalt.“

Arist. pol. 1,3,1253b (Übersetzung E. Schütrumpf)

Sklaven als Bestandteile der griechischen Gesellschaft

Aristoteles über die Behandlung von Sklaven in der Hauswirtschaft

„Da es aber dreierlei gibt (was man Sklaven zuteilt): Arbeit, Strafe und Nahrung, so erzeugt es Übermut, wenn man sie weder straft noch zur Arbeit anhält, sie aber Essen haben. Haben sie dagegen Arbeit und Bestrafungen, aber kein Essen, so ist das gewalttätig und ungerecht und erzeugt Arbeitsunfähigkeit. Es bleibt also übrig, dass man (angemessene) Arbeit und auch ausreichende Ernährung zuteilt. Denn über Leute zu herrschen, die keinen Lohn erhalten, ist unmöglich, für den Sklaven aber ist die Nahrung der Lohn. […] Deshalb muss man die Sklaven (genau) beobachten und jeweils nach Verdienst (ein jedes) zuteilen oder wegnehmen: Nahrung, Kleidung, Arbeitspausen, Strafen […]. Es ist aber auch nötig, allen ein Ziel zu setzen. Denn es ist sowohl gerecht als auch nützlich, die Freiheit als Preis auszusetzen. Sie mühen sich nämlich gerne ab, wenn ein Lohn winkt und die Zeit begrenzt ist. Man muss sich ihrer aber auch durch die Erlaubnis zur Kinderzeugung versichern. Und man darf nicht viele (Sklaven) aus demselben Volksstamm kaufen, wie man das auch in den Städten tut.“

Arist. oik. 1,5,1344a–b (Übersetzung R. Zoepffel)

Pseudo-Xenophon über die mangelnde Unterscheidbarkeit von Freien und Sklaven

„Bei den Sklaven wiederum und den Metöken herrscht in Athen die größte Zügellosigkeit, und es ist hier weder erlaubt, sie zu schlagen, noch wird der Sklave dir (auf der Straße) aus dem Weg gehen. […] Wenn es Gesetz wäre, dass der Sklave von einem Freien geschlagen würde oder der Metöke oder der Freigelassene, hätte er (sc. der Freie) schon oft geglaubt, der Athener sei ein Sklave, und zugeschlagen. Denn was die Kleidung angeht, so ist das Volk hier nicht besser als die Sklaven und die Metöken […].“

Ps.-Xen. Ath. pol. 1,10 (Übersetzung G. Weber)

Quellen zur Arbeitswelt von Sklaven

Dialog zwischen Sokrates und Chairekrates über Zweck der Sklavenhaltung

„Wer dazu in der Lage ist, der kauft sich Sklaven, um Mitarbeiter zu haben […].“

Xen. mem. 2,3,3 (Übersetzung J. Irmscher)

Beispielhafte Arbeitsbereiche von Sklaven

  • Erechtheion Bauabrechnungen: Sklaven und freie Arbeiten erhalten für die Arbeit denselben Lohn (z. B. zum Kannelieren der Säulen 7 Dr. 1 Ob.)
  • Ausbildungsvertrag für eine Weberin (Ägypten, 2. Jahrhundert n. Chr.)
  • Bergwerkssklave rühmt seine Fertigkeiten in einer Grabinschrift

Hör’ dir dazu passend unsere Folge 39: Arbeit ist das halbe Leben an!

Sklaven in der Großwerkstatt des Vaters von Demosthenes

„Mein Vater, ihr Richtermänner, hinterließ nämlich zwei Fabriken, die beide keine kleinen Gewerbe waren; einige der 32 oder 33 Messermacher waren fünf oder sechs Talente Wert, andere nicht weniger als drei Minen. Von diesen erwirtschaftete er 32 Minen Reingewinn pro Jahr. Die anderen Klinenmacher waren 20 an der Zahl, verpfändet für 40 Minen, die ihm jährlich zwölf Minen Reingewinn einbrachten.“

Dem. or. 27,9 (Übersetzung J. G. Schneider)

Preise von Sklaven ersichtlich anhand von Verkauf konfiszierter Güter der Hermokopiden, 414 v. Chr.

nach Poll. 10,97 sog. Attische Stelen, IG I3 421–430
Listenförmige Aufzeichnung von konfiszierten Gütern in drei Spalten: Verkaufssteuer, sog. eponion (links); Verkaufspreis (Mitte); Bezeichnung der Ware (rechts).

IG I3 421 col. I Z. 33–47

Von (dem Besitz des) Metöken Kephisodoros, [wohnhaft] in (dem Demos) Peira[ieus]:

34        2 (Dr.)                         165 (Dr.)                     Thrakerin

            1 (Dr.) 2 (Ob.)            135 (Dr.)                     Thrakerin

36        [2] (Dr.)                      170 (Dr.)                     Thraker

            2 (Dr.) 3 (Ob.)            240 (Dr.)                     Syrer

38        [1] (Dr.) 3 (Ob.)         150 (Dr.)                     Karer

            2 (Dr.)                         161 (Dr.)                     Illyrer

40        2 (Dr.) 3 (Ob.)            220 (Dr.)                     Thrakerin

            1 (Dr.) 3 (Ob.)            115 (Dr.)                     Thraker

42        1 (Dr.) 3 (Ob.)            144 (Dr.)                     Skythe

            1 (Dr.) 3 (Ob.)            121 (Dr.)                     Illyrer

44        2 (Dr.)                         153 (Dr.)                     Kolcher

            2 (Dr.)                         174 (Dr.)                     Karischer Junge

46        1 (Dr.)                         72 (Dr.)                       Karischer Junge

            [3] (Dr.) 1 (Ob.)         301 (Dr.)                     Syrer

IG I3 422 col. II Z. 71–80. 195–198

            2 (Dr.) 3 (Ob.)            215 (Dr.)                     Skonys,

72                                                                               hausgeboren,

                                                                                   Tischmacher

74        1 (Dr.) 3 (Ob.)            140 (Dr.)                     Alexitimos

                                                                                   hausgeborener (Sklave)

76                                                                               Eseltreiber

            4 (Dr.)                         360 (Dr.)                     Potainios, Karer,

78                                                                               Goldschmied

            3 (Dr.) 3 (Ob.)            310 (Dr.)                     Polyxene,

80                                                                               Makedonin

[…]

            4 (Dr.)                         361 (Dr.)                     Arete, Thrakierin,

196                                                                             Grylion, Thraker,
                                                                                    Habrosyne, Thrakierin;

198      2 (Dr.)                         155 (Dr.)                     Dionysios, Kupferschmied, Skythe

Abgesehen von Sklavinnen und Sklaven werden auch verschiedentliche mobile und immobile Güter verkauft: Töpfe aus Bronze, Kochkessel und -töpfe, Metallspieße, Matten, Beile, Holzbänke, Liegen, Betten mitsamt der Bettwäsche, Schränke, Tische, Stühle, Truhen, Teppiche, Vorhänge, Mäntel; Häuser mitsamt Grundstücken und Installationen, Vieh; Nahrungsmittel wie Weizen, Wein in den Gefäßen, Olivenöl, Linsen sowie noch zu leistende Ernteerträge.

Zu diesen Stelen:

Fahndung nach entlaufenen Sklaven in Ägypten

„Am 16. Epeiph des 25. Jahres ist ein Sklave des Gesandten Aristogenes, des Sohnes des Chrysippos, aus Alabanda, in Alexandrien entlaufen, dessen Name Hermon ist, auch Neilos genannt, von der Herkunft Syrer aus Bambyke, ca. 18 Jahre alt, von Statur mittelgroß, bartlos, mit festen Waden, einem Grübchen im Kinn, einem Mal links neben der Nase, einer Narbe über dem linken Mundwinkel, auf dem rechten Handgelenk mit zwei nichtgriechischen Buchstaben gezeichnet; mit sich führend 3 Minenstücke in Gold, 10 Perlen, einen eisernen (Hals-)Ring, auf welchem ein Ölfläschchen und Schabeisen (abgebildet sind), und um den Leib ein Unterkleid und einen Schurz. Wer diesen zurückbringt, wird [3] Kupfertalente erhalten, wer ihn in einem Heiligtum nachweist [2] Talente, bei einem zahlungskräftigen und belangbaren Mann [5] Talente. Wer will, soll Anzeige bei den Untergebenen des Strategen erstatten. Ferner ist da der mit ihm entlaufene Bion, Sklave des Kallikrates, eines der Archihypereten bei Hofe, von kleiner Statur, breit in den Schultern, mit kräftigen Waden, helläugig, der mit einem Umhang und einem Sklavenmantel, einer Frauenbüchse im Wert von 6 Talenten und 5000 Kupferdrachmen entflohen ist. Wer ihn beibringt, wird ebensoviel erhalten wie für den Obengenannten. Anzeige soll auch seinetwegen bei den Untergebenen des Strategen erstattet werden.“

UPZ I 121 (Memphis, 156 v. Chr.) (Übersetzung J. Hengstl)

Quelleneditionen und Übersetzungen

  • Aristoteles, Oikonomika. Schriften zu Hauswirtschaft und Finanzwesen, erläutert und übersetzt von Renate Zoepffel (Berlin 2006).
  • Aristoteles, Politik. Übersetzt und mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Eckart Schütrumpf (Hamburg 2012).
  • K. Brodersen – W. Günther – H. H. Schmitt, Historische griechische Inschriften in Übersetzung I–III (Darmstadt 1992–1999). [HGIÜ]
  • Demosthenes, Orations 27–40. Private Cases, Translated by A. T. Murray (Cambridge 1936).
  • J. Hengstl, Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens. Griechisch–deutsch, München 1978.
  • Inscriptiones Graecae. Inscriptiones Atticae Euclidis anno anteriores, Decreta et tabulae magistratuum. Edidit David Lewis (Berlin 1981). [IG I3]
  • R. Osborne – P. J. Rhodes (Hrsg.), Greek Historical Inscriptions, 478–404 B.C. (Oxford 2017).
  • Pseudo-Xenophon, Die Verfassung der Athener. Griechisch und deutsch, herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Gregor Weber (Darmstadt 2010).
  • Xenophon, Erinnerungen an Sokrates. Ins Deutsche übertragen von Johannes Irmscher (Berlin 1955).
  • Xenophon, Kleine historische und ökonomische Schriften. Griechisch–deutsch, herausgegeben und übersetzt von Wolfgang Will (Berlin / Boston 2020).

Sekundärliteratur

  • M. I. Finley, Was Greek Civilization Based on Slave Labour?, Historia 8/2, 1959, 145–164.
  • M. I. Finley, Die Sklaverei in der Antike. Geschichte und Probleme (München 1981).
  • H. Heinen (Hrsg.), Das Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) (Stuttgart 2017).
  • E. Herrmann-Otto (Hrsg.), Antike Sklaverei (Darmstadt 2013).
  • H. von Klees, Sklavenleben im klassischen Griechenland (Stuttgart 1998).

Ein Kommentar

  1. Hallo, erst mal vielen Dank für euren Podcast, den ich von Anfang an verfolge. Könnte man dieser Folge mal Sklaverei im römischen Reich gegenüberstellen?

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